Offener Brief an die Gemeinde Wichtrach

Schulzentralisierung ENS – Ein Projekt der Gemeinde Wichtrach

Sehr geehrter Herr Riem,
sehr geehrte Gemeinderätinnen und Gemeinderäte
Die IG Wichtrach bedankt sich bei der Gemeinde für die geleistete Arbeit im Zusammenhang mit dem Mitwirkungsbericht, datiert mit 10.11.2020, welcher am 18.11.2020 zusammen mit der Medienmitteilung veröffentlicht wurde. Viele Angaben waren konstruktiv und wertvoll. Die verschiedenen Überlegungen und die Anliegen der Gemeinde werden zur Kenntnis genommen.

Wir verstehen und akzeptieren, dass bei verschiedenen Mitwirkungseingaben Rahmenbedingungen oder Einschränkungen bestehen, die die Gemeinde nur bedingt oder gar nicht beeinflussen kann. Selbstverständlich respektieren und akzeptieren wir die demokratischen Prozesse, welche den weiteren Projektverlauf definieren.

In Rücksprache mit dem Regierungsstatthalteramt Bern Mittelland können wir Folgendes sagen. Eine Mitwirkung und der entsprechende Bericht können rechtlich nicht angefochten werden. Es wurde uns aber empfohlen, die Differenzen aufzugreifen und eine Stellungnahme von der Gemeinde zu verlangen. Auf Basis dieser Information, hat die IG Wichtrach entschieden, sich in einem offenen Brief an den Gemeinderat zu wenden.

In vielen Gesprächen und in einer Umfrage in der Gemeinde, hat die IG Wichtrach versucht, sich ein Bild über die Meinungen zum Mitwirkungsbericht zu machen. Viele Feedbacks sind bei uns angekommen. Auf Basis dieser Informationen erlauben wir uns der Gemeinde Wichtrach einen offenen Brief zu schreiben.

Grundsätzlich

Zahlreiche Personen in der Gemeinde Wichtrach und die IG Wichtrach sind mit dem Mitwirkungsbericht und mit dem weiteren Vorgehen nicht einverstanden.

1. Der Mitwirkungsbericht ist unvollständig, widersprüchlich und einseitig

a. Der Mitwirkungsbericht ist unvollständig

Aus der Mitwirkung der Bevölkerung wurden wichtige Punkte nicht aufgenommen.

  • «In der Präsentation vom 03.09.2020 ist ein Betrag CHF 9.8 Mio für Sanierungen in den kommenden 30 Jahren angegeben. Die Aussage vom 2018 (Sanierungsbedarf CHF 2 Mio. (Seite 2)) steht im Widerspruch mit der Aussage vom 03.09.2020.»
    Mitwirkungseingabe vom 3. Okt. 2020
  • «Die Berechnungsgrundlagen der Gemeinde liegen nicht offen vor. Sie sind für die Mitwirkenden nicht nachvollziehbar. Wir fordern die Gemeinde Wichtrach auf, die notwendigen Unterlagen offenzulegen.»
    Mitwirkungseingabe vom 3. Okt. 2020
  • «Gerne würden wir die verschiedenen Varianten, die die Projektgruppe ENS erarbeitet hat, einsehen.»
    Mitwirkungseingabe vom 3. Okt. 2020

Anmerkung der IG Wichtrach
Die aufgezählten Punkte sind im Mitwirkungsbericht zu ergänzen. Wir fordern die Spezialkommission ENS und den Gemeinderat auf, die notwendigen Unterlagen offen zu legen.

Beim Mitwirkungsbericht wurden gezielt Sachfragen nicht beantwortet. Es wäre sehr hilfreich und klärend in einer Partizipation, wenn weggelassene Informationen dokumentiert würden. Eine entsprechende Aufarbeitung der Spezialkommission ENS und vom Gemeinderat wird von der IG Wichtrach verlangt.

b. Der Mitwirkungsbericht ist widersprüchlich

Mitwirkungsbericht Seite 40 – 3.2 Zusammenfassung der Grundstimmung zu einer Zentralisierung
«Eine Zentralisierung, wie sie von der Gemeinde als Variante vorgestellt wurde, wird grossmehrheitlich nicht gutgeheissen oder zumindest von fast allen Mitwirkenden sehr kritisch beurteilt.»

Dem gegenüber steht die Aussage auf Seite 41, Kapitel 3.3 Schlussfolgerung der Spezialkommission
«Die Zentralisierung der Schullandschaft wird nach wie vor favorisiert.»

Anmerkung der IG Wichtrach
Die Schlussfolgerung ist widersprüchlich und bildet nicht das Ergebnis der Mitwirkung ab. Falls die Spezialkommission ENS und der Gemeinderat die Zentralisierung der Schullandschaft favorisiert, so kann dies festgehalten werden. Es muss aber klar ersichtlich sein, dass dies trotz grosser Ablehnung, gegen den Willen der Mitwirkenden geschieht. Die Auswertung der Mitwirkung und die Entscheide der Spezialkommission ENS und dem Gemeinderat sind klar zu trennen.

Anmerkung der IG Wichtrach
Die ersten 2 Aussagen stehen im Widerspruch zu der dritten Aussage.

Innerhalb einer Mitwirkungsfrist von 30 Tagen (in der Herbstferienzeit), bei einem Projekt im Umfang von CHF 26 Mio. sämtliche Sachfragen im Detail zu studieren war nicht möglich. Sollten wichtige Faktoren übersehen worden sein, bitten wir Sie diese Details, allen Mitwirkenden sachlich und ausführlich zu erläutern.

Die aufgeführten Widersprüche sind zu erläutern oder zu entfernen.

c. Der Mitwirkungsbericht ist einseitig, suggestiv und verdreht Tatsachen

Mitwirkungsbericht Seite 11 – 2.4 Mitwirkungseingaben nach Alters- und Anspruchsgruppen
«Erfreulicherweise ist die Quote der Gruppe 60 + ebenfalls verhältnismässig hoch. Der grösste Teil dieser Eingaben verfügt über eine hohe Qualität und Ausgewogenheit. Dort liegt auch der höchste Anteil der zustimmenden Voten. Dieses Segment ist für die Spezialkommission von grosser Bedeutung, da diese Personen einen wesentlichen Teil der allgemeinen finanziellen Lasten tragen und aufgrund der Familienkonstellation „Nettozahler“ sind.»

Anmerkung der IG Wichtrach
Diese Aussage zeigt auf, dass nicht alle Mitwirkende gleich behandelt werden. Zudem wird in der Aussage suggeriert, dass alle aus der Gruppe 60+ dem Projekt zugestimmt hätten. Fakt ist jedoch, dass bei der Frage 1 nur 11 Mitwirkende dem Projekt zugestimmt haben. Die Gruppe 60+ besteht aus 51 Personen. Auch wenn alle 11 zustimmenden Voten aus dieser Gruppe kämen, so würden dem 40 ablehnende Voten gegenüberstehen. In diesem Sinne wurde die Mitwirkung nicht objektiv ausgewertet. So wurden die zustimmenden Voten ausführlich hervorgehoben, währenddessen die kritischen Punkte lediglich erwähnt und als vertretbar oder lösbar deklariert wurden. Dies zeigt, dass die Spezialkommission ENS alles daran setzte, die Ablehnung zu bagatellisieren und sehr einseitig die zustimmenden Voten hervorheben.

Stellungsnahme der IG Wichtrach
Die Ausführungen und die Bemerkungen (nicht nur das oben erwähnte Beispiel) sind wertend, einseitig, suggestiv und unpassend. Deshalb sind solche Einschübe zu entfernen. Ein Mitwirkungsbericht einer öffentlichen Behörde muss auf nachvollziehbaren Grundlagen basieren. Dies ist an verschiedenen Stellen im Mitwirkungsbericht nicht gegeben.

2. Die Schlussfolgerung im Mitwirkungsbericht

«Die Zentralisierung der Schullandschaft wird nach wie vor favorisiert.» Diese Aussage ist falsch und nicht nachvollziehbar. Aus der Mitwirkung geht klar hervor, dass 94% der Mitwirkenden diese Zentralisierung ablehnt. Zudem sind 94% der Mitwirkenden der Meinung, dass die Grundstücke mit den heutigen Schulgebäuden der Gemeinde, im Besitz der Gemeinde bleiben müssen. Dies ist im Mitwirkungsbericht, insbesondere in der Schlussfolgerung festzuhalten.

Es ist uns bewusst, dass die Gemeinde nicht auf jeden Wunsch von Einzelpersonen eingehen kann. Bei einer Ablehnung des Projekts von über 90% sehen wir die Gemeinde jedoch in der Pflicht das Projekt vollumfänglich zu überdenken. Falls die Spezialkommission ENS und der Gemeinderat die Zentralisierung der Schullandschaft nach wie vor favorisiert, so kann dies festgehalten werden. Es muss aber klar ersichtlich sein, dass dies trotz grosser Ablehnung, vielen kritischen Punkten und gegen den Willen der Mitwirkenden geschieht. Die Auswertung der Mitwirkung und die Entscheide der Spezialkommission ENS und dem Gemeinderat sind klar zu trennen.

3. Veränderte Rahmenbedingungen

  • Seite 5 – ENS-Botschaft für Informationsanlass 03.09.2020
    Informationen zur Mitwirkung von der Spezialkommission ENS
    «Die raumplanerische Entwicklung findet in den kommenden Jahren und mit Blick auf die Baugebiete vorwiegend westlich der Bahnlinie statt. Eine Investition in den Ortsteil Niederwichtrach bzw. den Schulstandort am Bach würde dieser Entwicklung klar entgegensprechen.»
  • Seite 11 – Präsentation Informationsanlass ENS vom 03. Sept.2020
    «Entwicklung Klassen- und Kinderzahlen
    • aufgrund der Bevölkerungsentwicklung berechenbar
    • signifikanter Anstieg Schülerzahlen ab 2025 erkennbar
    • weitere Klasseneröffnungen nach 2025 absehbar»

Anmerkung der IG Wichtrach
Die Spezialkommission ENS und der Gemeinderat stützte sich in ihrer Botschaft und in der Präsentation auf die oben erwähnten Kernpunkte. So wurde die Bevölkerung im Projekt ENS informiert.

Verschiedene Pressemitteilungen

  • Gemäss dem Presseartikel vom 19.11.2020 in der BZ,
    Aussage Gemeindepräsident Bruno Riem: «Als genauso gewichtiges Argument führt er ins Feld, dass plötzlich nicht mehr ganz so klar ist, wie sich Wichtrach in den kommenden Jahren entwickelt wird. Noch im September sprach er davon, dass die Gemeinde in Zukunft vor allem in Oberwichtrach wachsen werde.»
  • Gemäss dem Presseartikel vom 22.11.2020 auf Bern OST
    «Ein wichtiger Faktor sei derzeit auch, dass für die Schüler*innenzahlen nur für die nächsten fünf Jahre Zahlen vorlägen. Was in zehn, fünfzehn Jahren sei, sei noch ungewiss, sagt Riem.»

Stellungnahme der IG Wichtrach
Die mitwirkende Bevölkerung hat, bei einem «Jahrhundertprojekt» (Aussage Gemeindepräsident) bei einer Kostengrösse von CHF 26 Mio., ein Anrecht auf verlässliche Informationen. Die Grundlagen zum Projekt wurden zu wenig genau und nicht mit der nötigen Sorgfalt zusammengetragen. Das Ganze aus dritter Hand zu erfahren, stärkt das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Spezialkommission ENS und dem Gemeinderat nicht.

Veränderte Grundlagen müssen im Mitwirkungsbericht erläutert und korrigiert werden.

4. Resümee

Die Gemeinde Wichtrach soll und muss auf veränderte Situationen reagieren und verschiedene Varianten prüfen können.

Die IG Wichtrach stellt fest

  • 94 % der Mitwirkenden lehnen eine Zentralisierung ab. Auswertung – Mitwirkungsbericht: 11 positiv (guter Ansatz) 161 negativ (unnötig).
  • Unsere Umfrage hat gezeigt, dass der Mitwirkungsbericht in der vorliegenden Version nicht verstanden wird.
  • Es existiert ein generelles Unverständnis über den Entscheid des Gemeinderates Wichtrach («Die Zentralisierung der Schullandschaft wird nach wie vor favorisiert»).
  • Das vorgeschlagene Vorgehen «Etappierung einer Zentralisierung» widerspricht in vielen Punkten der Lösungsvision der Gemeinde (Bsp.: Nachhaltigkeit, eine gute Lösung für Schüler, Eltern und Lehrerschaft, Planbarkeit, etc.). Weiter widerspricht dieses Vorgehen der Einheit der Materie.

Mit viel Elan hat die Gemeinde Wichtrach das umfassende Thema «Entwicklung nachhaltiger Schullandschaft» mit einem partizipativen Weg gestartet. Kaum ist der Dialog begonnen, wird dieser abrupt, mit einem Entscheid vom Gemeinderat Wichtrach, beendet. Die Abkehr vom Dialog mit den Bürger/innen, wird von vielen als schlechtes Signal empfunden. Demokratie ist nicht eine Einbahnstrasse. Unverständnis und Verdruss ist das mögliche Resultat.

5. Appell an den Gemeinderat

Die IG Wichtrach fordert den Gemeinderat auf, die Situation nochmals zu analysieren und sich von der starren Lösungsvision zu entbinden. Die Direktbetroffenen, Schüler, Eltern und Lehrerschaft, haben zurecht einen Anspruch auf eine zügige Klärung der aktuellen Situation. Auch wir als Bürger/innen wollen Klarheit. Dazu gehört, ein politisch tragbares Konstrukt, Kosten die geklärt sind und nicht zuletzt, ein transparenter, fairer und offener Weg zur Lösung.

Wir danken dem Gemeinderat und der Spezialkommission ENS der wohlwollenden Prüfung unserer Anliegen und freuen uns auf eine zeitnahe Antwort.

Wichtrach, 15. Dezember 2020
Freundliche Grüsse
IG Wichtrach

Sandra Fasciati
Nathanael Inniger
Pascal Schöni
Dominic Schweri
Felix Hosner

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